Wer war Paula Rüf?

Vor zehn Jahren wurde die Paula-Rüf-Stiftung mit Sitz in Flums gegründet. Seither wurden, dem Stiftungszweck entsprechend, exakt 313 Personen mit 3,53 Mio. Franken unterstützt.

Aus Anlass des Zehn-Jahre-Jubiläums publiziert der «Sarganserländer » auszugsweise einen bereits im April 1998 erschienen Artikel «Reflexe der Nachkriegszeit – Fatima » (vierbändige Sammelausgabe der journalistischen und schriftstellerischen Texte sowie der Arbeit über Fatima von Paula Rüf – Anm. der Redaktion). Verfasst wurde er von Pater Kassian, Redaktor der Zeitschrift «Meinrads Raben» der Stiftschule Maria Einsiedeln.

«Fatima – ich muss hier gestehen, dass ich mich mit diesem Phänomen bisher kaum beschäftigt habe. Die Aussagen von Fatima, die gelüfteten und nicht gelüfteten ‘Geheimnisse’, das ganze (kitschige) Umfeld erscheinen mir theologisch fragwürdig oder härter: Sie erscheinen mir nicht einmal einer Frage würdig. Mit Skepsis habe ich daher das Buch über Fatima von Paula Rüf zu lesen begonnen. Ich habe es in einer Nacht gelesen und bin fasziniert.

Die Visionen sind real
Der Untertitel lautet: Archetypische Hintergründe bei der Entstehung eines Wallfahrtsortes. Paula Rüf beschäftigt sich mit Fatima; sie sieht aber einen grossen Zusammenhang mit anderen Muttergotteserscheinungen der Neuzeit, La Salette, Lourdes und viele andere. Für sie sind diese Visionen kein Durchbruch des Göttlichen in unsere geschöpfliche Welt, wie wir es glaubend in Jesus Christus sehen. Diese Visionen sind nicht Übernatur, sie sind Natur, allerdings eine Jahrhunderte lang nicht mehr wahrgenommene Natur.

Die Visionen sind nicht Einbildung oder Halluzination, sie sind tatsächlich und real, sie enthalten eine wesentliche und durchaus auch religiöse Botschaft. Das kollektiv Unterbewusste wendet sich an das Bewusstsein der Welt (oder der «emanzipierten » westlichen Welt). Wer in der Psychologie von C. G. Jung nicht bewandert ist oder sie nur am Rande kennt (wie der Schreiber dieser Zeilen), tut sich mit solchen Vorstellungen schwer. Aber das sich in greifbarer und sichtbarer Gestalt manifestierende Unterbewusste ist gut bezeugte Realität.

Die Frau steht auf
Wolfgang Pauli, einer der bedeutendsten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts und ein ausserordentlich kritisch denkender Wissenschafter, hat in den dreissiger Jahren die Tiefenpsychologie entdeckt, und er begegnete hier einer Wirklichkeit, die ebenso real ist wie die physikalische Wirklichkeit (C.A. Meier; Wolfgang Pauli und C.G. Jung, Ein Briefwechsel, 1932 bis 1958, Springer 92).

Für Paula Rüf sind die Muttergotteserscheinungen eine Manifestation des vernachlässigten Irrationalen – oder bildlich: Die Frau steht auf gegen den Mann. «Seit dem Aufkommen des Rationalismus, so notwendig er war, wurden die Werte, welche die Dame verkörpert, vernachlässigt und zum Teil schmählich missachtet und verraten. Die Dame ist besorgt und betrübt darüber; das Gleichgewicht der Natur wird gestört. Ein solches fortgesetztes Fehlverhalten fordert die Katastrophe heraus.» (S. 130f)

Selbst für Leser, die eine solche Deutung von Fatima a priori ablehnen, ist dieses Buch lesenswert und wirklich zu empfehlen. Paula Rüf ist nie polemisch und auch nicht rechthaberisch (vielleicht im Gegensatz zu ihrem Mentor C.G. Jung). Man spürt auf jeder Seite: Hier schreibt eine Frau, warm einfühlend, offen und ohne jede Pose.» Die in Flums geborene und aufgewachsene Paula Rüf (Dr. iur. und Rechtsanwältin) starb am 10. Juli 1995 im Alter von 84 Jahren nach einem reichen, aber auch leidvollen Leben. (pk/sl)