Paula Rüf - eine aussergewöhnliche Frau
Paula Rüf, als ältestes von vier Kindern 1911 in Flums geboren, aus gutbürgerlicher Familie stammend (der Vater war Direktor der damaligen Karbidfabrik), verbrachte ihre ersten Schuljahre in Flums. Da es damals im Sarganserland keine Möglichkeit zum Besuch einer Mittelschule gab, dem Vater aber viel an Fremdsprachen lag, besuchten alle vier Kinder entsprechende Lehranstalten in der Westschweiz. Paula trat nach kurzer Vorbereitungszeit in das Gymnasium von Lausanne ein, wo sie die Matura mit dem Preis der Stadt Lausanne für besondere Leistungen im sprachlich-literarischen Bereich abschloss. (Den gleichen Preis erhielt 35 Jahre später ihr Neffe Jean Rüf.) Ihr schriftstellerisches Talent wurde damit schon angedeutet. Es folgten das Rechtsstudium in Zürich und Neuchatel mit Doktorat cum laude in Zürich sowie das Praktikum auf dem Bezirksamt Flums, abgeschlossen mit dem Rechtsanwaltspatent des Kantons St. Gallen. In der Krisenzeit der dreissiger Jahre war es für junge Juristen, besonders aber für Frauen schwierig, trotz anerkannt bester Qualifikation eine Stelle zu finden. Schliesslich wurde Paula dann doch im Anwaltsbüro Lautenschlager in Rapperswil für einige Jahre eine angemessene Tätigkeit geboten. Nach dem frühen Tod des Vaters, 1939, während die jüngeren Geschwister noch im Studium oder in der Ausbildung waren, zog die Mutter nach Zürich, um den vier Kindern den Haushalt zu führen. Bei grösster Sparsamkeit und mit Hilfe der bescheidenen Einkommen der älteren Geschwister gelang es, auch den jüngeren Kindern das Studium bis zum Abschluss zu ermöglichen. Paula Rüf wandte sich nun mehr und mehr einem weiteren Interessengebiet zu, dem ihr schon seit dem Gymnasium vertrauten literarisch-journalistischen. Sie trat als Lektorin in den noch jungen, von Peter Schifferli gegründeten Arche-Verlag ein, und zwar für eine Aufgabe, die ihr in jeder Hinsicht entsprach und wo sie Autoren wie Edzard Schaper und Werner Bergengrün betreute, mit dem sie jahrelang befreundet blieb.
Daneben wurde sie an vielen Zeitungen und Zeitschriften (Schweizer Journal, Schweizer Rundschau, Die Woche, Annabelle, NZN, Tat, Süddeutsche Zeitung und andere) zur regelmässigen und geschätzten Mitarbeiterin. Eine grosse Zahl von Arbeiten aus den Jahren 1945 bis 1957 zeugt von ihren vielseitigen Interessen, ihrer Schaffensfreude und ihrem unvergleichlichen Stil. Theater-, Film- und Literaturkritik wurden zu ihrer Spezialität, ebenso gerne aber befasste sie sich mit allgemein-menschlichen und zwischenmenschlichen Problemen, wie sie besonders eindrücklich in den jahrelangen Rubriken ‚Von Frau zu Frau‘ und ‚Fragendes Herz‘ der ‚Annabelle‘ zum Ausdruck kamen. Der damaligen Generation der Leser sind aber heute noch viele andere Sparten ihres vielseitigen Talents in Erinnerung: ‚Spiegel der Seele‘ zum Beispiel, ebenfalls in ‚Annabelle‘, wo sie von Fotografien des berühmten Fotografen Karsh vielbeachtete Psychoportraits von Künstlern wie Greta Garbo, Humphrey Bogart oder Marlene Dietrich verfasste. Daneben schrieb sie auch Reportagen, zum Beispiel ‚Palmsonntag der Buben in Flums‘ oder ‚Tag der Nonnen im Kloster Stans‘, Interviews mit Persönlichkeiten wie der Fürstin von Liechtenstein, Buchbesprechungen, Reiseberichte, Kurzgeschichten und anderes.
Haupttätigkeit blieb aber die Theaterkritik zu einer Zeit, als das Schauspielhaus Zürich über das grossartige Ensemble der Kriegs- und Nachkriegsjahre verfügte und die erste Bühne deutscher Sprache war. Mit ihren klugen und kritischen Analysen der damals vielen Erst- und Neuaufführungen, auch solche der jungen Schweizer Autoren Dürrenmatt und Frisch, schuf sich Paula Rüf ihren Namen.
All ihre bemerkenswerten Arbeiten aufzuzählen sprengt den Rahmen einer kurzen Biographie. Zum Abschluss der unvollständigen Besprechung des umfangreichen literarischen Wirkens von Paula Rüf sei noch folgende Anekdote erwähnt: Wohl eines der letzten Interviews, die Max Frisch vor seinem Tode noch erteilte, gab er – ihres Namens wegen – Isabelle Rüf (der Nichte von Paula Rüf) für die Kulturabteilung des Westschweizer Radios. Vierzig Jahre nach seiner Begegnung mit Paula Rüf erinnerte sich Max Frisch noch mit grösster Anerkennung ihrer schriftstellerischen Begabung und bezeichnete sie unter anderem als eine der ganz wenigen Theaterkritiker, die seine Werke von Anfang an richtig verstanden hätten. Für den interessierten Leser der heutigen Generation, der das Werk von Paula Rüf nicht mehr kennt, sei auf die nebenstehende reizvolle Kurzgeschichte ‚Ein kätzischer Penat namens ,Eusebi‘ verweisen, eine Kostprobe ihres schriftstellerischen Könnens, ihres feinen, hintergründigen Humors und gleichzeitig auch ein Dokument für ihre Verbundenheit mit dem Berghaus auf der Mätzwiese in Flumserberg.
Die Begegnung mit der analytischen Psychologie C. G. Jungs war für sie von zentraler Bedeutung und legte schöpferische Kräfte frei, die noch viel eindrücklicher zum Tragen gekommen wären, hätte ihr nicht eine heimtückische Krankheit eine immer grössere Behinderung in den Weg gelegt.
Seit 1949 mit Heinrich Gebert verheiratet, zeichneten sich schon vor der Geburt ihres Sohnes Stephan (1950) Anzeichen einer Krankheit ab, die von Jahr zu Jahr belastender in ihr und ihrer Angehörigen Leben eingriff und die erst Jahre später als postencephalytischer Parkinson diagnostiziert wurde, Spätfolge der ‚Spanischen Grippe‘, an der Paula Rüf 1918/19 als Kind erkrankt war. Ihre Beschäftigung mit der Tiefenpsychologie C.G. Jungs und ihre Bekanntschaft mit Prof. C.A. Meier, Jungs Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Psychologie an der ETH, drängten sie bald trotz ihrer Krankheit zu grösseren und anspruchsvolleren Vorhaben. Nachdem sie sich früher schon in der vielbeachteten Arbeit ‚Das wahre Gesicht der Heiligen‘ über Bernadette Soubirous, die Seherin von Lourdes, mit dem religionspsychologischen Thema von Erscheinungen beschäftigt hatte, stand bald im Vordergrund eine grössere Arbeit über die archetypischen Hintergründe des Phänomens der Erscheinungen von Fatima. Mit unglaublicher Energie mobilisierte sie ihre langsam schwindenden Kräfte über Jahre, um das höchst anspruchsvolle Werk fertig zu erstellen, zu dem die Professoren C.A. Meier und Jules Angst bereits Vorwort und Einführung verfasst hatten. Zur Vollendung des schon weit gediehenen Manuskripts reichten die Kräfte nicht mehr, es blieb Fragment.
Die letzten Jahrzehnte wurden verdüstert durch ständig schwindende Möglichkeiten. Das Schreiben von Hand, bald auch von Maschine, oder das Diktieren wurden unmöglich; die Krankheit hat jeden schöpferischen Impuls bezwungen.
Trotz ihres schweren Leidens blieb sie aber bis zu ihren letzten Monaten eine elegante und sehr gepflegte Erscheinung. Nur ihr Lächeln und ihr Ausdruck zeigten noch wachen Intellekt und Verstehen an, wenn auch die Sprache verstummt war. Gemildert und einigermassen erträglich wurde das schwere Los Paula Rüfs wenigstens durch materielle Sicherheit, die alle Arten von Hilfeleistung ermöglichte – ganz besonders aber durch die fürsorgliche und liebevolle Zuneigung und Betreuung durch ihren Ehemann Heinrich Gebert, der sich unter Hintanstellung eigener Interessen und Bedürfnisse bis zum letzten Tag (‚Bis dass der Tod euch scheidet‘) ganz in den Dienst der Erkrankten stellte. Paula Rüf starb in ihrem Heim am 10. Juli 1995. Ihre Asche ruht in sarganserländischer Erde.
Im Andenken an diese aussergewöhnliche Frau und ihr bedrückendes Schicksal, in Erinnerung an die schwierigen Jahre nach dem frühen Tod ihres Vaters, auch eingedenk der Verbundenheit Paula Rüfs mit dem Sarganserland, haben ihr Ehemann Heinrich Gebert und ihr Sohn Stephan die Stiftung ‚Paula Rüf‘ ins Leben gerufen. Sie soll begabten jüngeren Leuten des Sarganserlandes, die ohne genügende eigene Mittel sind, Studium und Weiterbildung ermöglichen.
Stiftung will wirken
Gemeindeammann Josef Gall und Stiftungsratspräsident Karl Mätzler brachten an der Medieninformation zur Gründung der Paula-Rüf-Stiftung ihre Freude über diese wertvolle Institution zum Ausdruck
Bewusst seien im Stiftungszweck recht offene Formulierungen gewählt worden. ‚Wer studieren will und nicht über die dafür nötigen finanziellen Mittel verfügt, soll unterstützt werden‘, brachte es Mätzler auf den Punkt. So werde dank dieser Stiftung eine Ergänzung zur kantonalen Unterstützung möglich. Diese könne sinnvoll sein, weil der Kanton seine Leistungen aufgrund der Vermögenswerte ermittle. Es sei nicht in Ordnung, wenn Eltern das eigene Haus zusätzlich belehnen müssten, um das Studium ihrer Kinder zu finanzieren. Der Stiftungsrat wolle in relativ flexibler, aber genauer Art diesem Umstand Rechnung tragen, erklärte Karl Mätzler.
Stiftungsgründer Heinrich Gebert schilderte in eindrucksvollen Worten die herausragende Persönlichkeit seiner verstorbenen Ehefrau, und zwar im literarisch-journalistischen Bereich, als guter Geist für unser Unternehmen (Geberit AG in Rapperswil), aber im Besonderen auch für mich und meine Arbeit‘. Im Gedenken an seine aussergewöhnliche Gattin sei die Stiftungsgründung an ihrem Heimatort Flums erfolgt, erklärte Heinrich Gebert.