Ein kätzischer Penat namens Eusebi

In seiner Jugend hiess er Herakles, da er, verspielt und draufgängerisch, seinen jüngeren Bruder wie eine Trophäe aus Leopardenfell um die Schultern gelegt umhertrug und zu klassisch griechischen Assoziationen Anlass bot. Als er dann, in zartem Alter noch, von seinen Pflegeeltern aus einem höchst intellektuellen Hause am Zürichberg hier herauf in die Bergeinsamkeit gegeben wurde, schwanden die heroischen Reminiszenzen. Wir sahen ihm gleich an, dass er eigentlich Eusebi hiess, und er hatte gegen diesen Namen nichts einzuwenden.

So ist Eusebi denn bei uns Hausgott geworden. Das gewöhnliche Volk würde ihn einfach als Kater bezeichnen, und Leute mit einem Stich ins Harmlos-Ordinäre nennen ihn gar in verkleinernder und beleidigender Anerkennung: "Es schös Tigerli".

Nur Eingeweihte und aufgeklärte Gäste des Berghauses ahnen, wer er wirklich ist. Wenn er in der Halle vor dem Kamin auf einem Fussschemel thront, in sphinxhafter Pose, ein Bild geheimnisvoller Abgeschlossenheit, wenn er mit tiefen und leeren grünen Augen in den Schein der Flammen starrt und niemand errät, was er denkt, wird dem Beobachter seine Natur klar: er ist ein Penat, gestaltgewordener guter Geist von Haus und Herd. Daher rührt die Distanz, in der er uns hält, und ein Rest von Unvertrautheit, der auch nach langem und innigem Umgang nicht verschwindet.

Ein Penat in getigertem Fell. Man muss sich aber nicht etwas kleinlich Gestreiftes und Geflecktes vorstellen nach Art der Hauskatzen, die auf ihrem Pelz phantasielos das Muster der Kellerschnecken kopieren. Nein, Eusebis Schönheit ist auffallend, in Schwarz und einem Grau, das eigentlich ins Grüne spielt, an Bauch und Näschen ins Gelbe. Das Muster ist äusserst raffiniert zur effektvollsten Entfaltung kätzischer Pracht eingesetzt.  Die Augen werden durch einen schwarzen Fellstreif künstlich verlängert nach Art einer indischen Tempeltänzerin. Schwarze Streifen, von der Nasenwurzel ausgehend, laufen nach hinten über das Haupt und markieren eine bedeutend gerunzelte Stirn. Um den Hals legen sich diverse schwarze Colliers, an einem davon hängt genau auf der Mitte der Brust ein weisses fellernes Medaillon. Rücken und Seiten sind grosszügig dekoriert: man unterscheidet stilisierte Blätter, Spiralen, rosenartige Gebilde und an den Flanken andere Ornamente in archaischem Stil. Den Schwanz umschliessen in regelmässigen Abständen Fibeln und Spangen, glänzend schwarz und klassisch schön, in der Form an antiken Schmuck erinnernd. Wir haben uns oft gefragt, wie weit sich der Penat seiner Schönheit bewusst ist; aber obwohl wir eng mit ihm befreundet sind, ist es schwer, von ihm detaillierte Auskunft zu erhalten. Auf jeden Fall drückt sein ganzes Wesen innere Sicherheit aus, und es ist anzunehmen, dass er sich für in jeder Beziehung vollkommen hält.

Das Verhältnis zu unserem Penaten ist durch Ehrerbietung und Zuneigung unserseits und durch ein angemessenes Vertrauen und eine etwas zerstreute Höflichkeit seinerseits geregelt. Doch bestehen auch feste rechtliche Grundlagen. So hat Eusebi ein unbestrittenes Wohnrecht auf dem himbeerroten Fauteuil, der bequemsten Sitzgelegenheit des Hauses. Er pflegt tagsüber darin zu schlafen, lässig zusammengerollt, die Pfoten über die Augen gedrückt, dem Goethespruch ‚Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass verschliesst‘ in kätzischer Weisheit Ausdruck gebend. Manchmal gibt er sich auch Mühe, im Schlaf dem Löwen des heiligen Hieronymus im Gehäuse vom Dürerstich zu gleichen. Und wenn er erwacht, reisst er den Rachen auf und gähnt, wobei er heraldisch die Zunge rollt, ein Wappentier darstellend.

Ausserdem liegt ein Servitut zugunsten Eusebis auf dem Berghaus, wonach dem Penaten von allen in das Haus eingebrachten Würsten je die beiden Zipfel anfallen. Da es ein dingliches Recht ist, sind ihm auch die Gäste des Hauses unterworfen, und Eusebi geht streng um den Tisch passt scharf auf, dass ihm der Tribut nicht vorenthalten wird. Da über die Grösse der jeweiligen Zipfel nichts vereinbart wurde, kann man interessante Rückschlüsse auf die Grossmut der einzelnen ziehen. Wie eng manche gierigen Gäste den Begriff Zipfel auffassten, sei  skandalös und beschämend für das Menschengeschlecht, hat Eusebi einmal erklärt. Ja, es hat sogar Leute gegeben, die ihre Schäbigkeit so weit trieben, dass sie das Zipfelservitut rundweg bestritten und erst etwas Geschriebenes zu sehen verlangten, ehe sie sich darauf einliessen. Das ist der Hauptgrund, warum die penatische Berechtigung jetzt hier niedergeschrieben wird.

Was mehr als alles andere von Eusebis tiergöttlicher Natur überzeugt, ist seine schöne Nutzlosigkeit. Er ist oft  beim Nachbarhaus oben, so dass man ihm nahelegte, ob er nicht vielleicht, wenn der Postsack dort ankomme, unsere Briefe und Zeitungen jeweils herunterbringen könnte, damit nicht das vielbeschäftigte Trudi von oben abends, mit der Laterne durch die Tannen wandelnd, mit der Post heruntersteigen müsse. Da stiess man bei Eusebi indessen auf stille Verständnislosigkeit. Er wies darauf hin, dass er ausschliesslich zu ornamentalen und kultischen Zwecken engagiert worden sei und dass es eine Taktlosigkeit bedeute, etwas anderes von ihm zu erwarten.

Aber Eusebi tut auch nicht, was sonst doch etwa Katzennatur wäre: der Gedanke, eine Maus zu fangen, hat ihn nie gestreift. Das sei ein Sport für Kätzinnen, sagt er, und die Nachbarin, die grotesk Dreifarbige, möge ihrer aufs Nützliche und Biedere bedachten Art gemäss mit leidenschaftlicher Geduld stundenlang zusammengekauert auf der feuchten Wiese auf den Ausgang des Mäuschens lauern – für solchen kleinbürgerlichen Erwerbstrieb habe er, Eusebi, keinen Sinn.

Seine Sensationen verschafft er sich auf andere Art. Es lässt sich nicht leugnen, Eusebi stiehlt. Das spricht natürlich nicht gegen seine göttliche Herkunft. Hermes hat auch gestohlen und war ein grösserer Gott als ein getigerter Berghauspenat. Eusebi stiehlt im eigenen Hause, was allerdings als Selbsthilfe zur Beschaffung des vorenthaltenen Dankopfers für seine Funktion des Hausbehütens aufgefasst werden kann. Aber er stiehlt auch bei den Nachbarn. Er ist in das Chalet der Marchesa am Waldrand nebenan eingedrungen und hat dort den Speck weggetragen, so dass die Mondäne um den lange zusammengesparten Bacon betrogen war. Er stahl ihn ohne Bedenken und verzehrte ihn ohne Reue. Die Ungebrochenheit seines Charakters ist eindrucksvoll. Da ist seine Idee vom vivere pericolosamente. Der Diebstahl im Chalet war in der Tat nicht ungefährlich, denn dort herrscht Orion, sein Todfeind.

Neulich weckte bedeutendes Gekläff jedermann aus dem Morgenschlaf; unaufhörlich scholl es ums Haus herum und fixierte sich, schliesslich vor dem westlichen Schlafzimmerfenster. Da stand Orion, der Köter, und bellte mit geiferndem Hass zu Eusebi hinauf, der zuoberst an der Telegraphenstange hing und sich anklammerte. Er liess sich keine Erregung anmerken, nur sein Schwanz war gesträusst und gesträubt, entfaltet wie eine Blume und dick wie ein Busch. Zum erstenmal war zu sehen, warum man die Schachtelhalme Katzenschwanz nennt. Das Erscheinen der Menschen erlaubte dem Penaten, die Telegraphenstange zu verlassen, doch dauerte es eine ganze Weile, bis der blumenhafte Schwanz sich wieder zur gewöhnlichen Zier umbildete. – Eusebi schimpfte dann aufgeregt über Orion. Nicht dass er Angst gehabt hätte, sagte er. Nötigenfalls wäre er dem Beller an den dummen Kopf gesprungen und hätte ihn mit seinen gläsernen Krallen traktiert, dass ihm Hören und Sehen vergangen wäre. Aber er liebe den Frieden, und mit Narren solle man nicht streiten.

An der nervösen Reizbarkeit Eusebius jedesmal, wenn das Thema Orion behandelt wurde, ersah man, dass es sich nicht um eine Gelegenheitsfeindschaft handelte. Urinstinkte waren im Spiel. Wenn man Eusebi früher gefragt hatte, was er eigentlich gegen die Hunde habe, hatte er immer achselzuckend geantwortet: Sie seien ihm zu hündisch. Schliesslich brachte man dann aus ihm den Grund für diese Erbfeindschaft heraus: Es geht um Menschen; ich hatte es immer vermutet, und Eusebi gab es schliesslich halb widerwillig zu. Nun ja, sagte der Penat auf langes Drängen, das Zusammensein mit den Menschen habe das Katzenleben auf erstaunliche Weise bereichert. Es gab wohl viele Unzuträglichkeiten mit den Schwerfälligen, die ihrer Aufgabe, für genügend Fleisch und Milch zu sorgen, nur ungenügend nachkamen um sich im Dienste der Katzen immer wieder als von unerträglicher Schlamperei  erwiesen.

Auch oblagen sie ihren moralischen Pflichten, die Katzen zu kraulen, zu loben, zu verherrlichen, zu ihnen mit freundlichster Stimme zu sprechen, nur in sehr dürftigem Masse und dann meist noch im falschen Augenblick, wenn die Katzen der Ruhe bedurften. Sie zeichneten sich überhaupt durch plumpen Unverstand aus und nahmen sich viel zu wichtig. Aber, das musste Eusebi anerkennen, langweilig war es nie mit den Menschen, sie gaben dem Leben Spannung und eine gewisse Wärme. Und hier waren die Hunde Konkurrenz, und zwar, nach Eusebis Ansicht, eine richtige Schmutzkonkurrenz. Sie wedelten und krochen, billigten alles, was die Menschen taten, und waren bar aller Würde. Nie würde eine Katze verstehen, was die Menschen so Liebenswertes an den Hunden fanden. Es sprach sehr gegen ihr Geschlecht, dass sie diesen widerlichen Byzantinismus nicht nur duldeten, sondern sogar zu schätzen schienen. Und die Hunde ihrerseits, diese Häretiker, betrachteten die Menschen als eine Art höherer Wesen. Es war kaum zu ertragen.

Die Erregung des sonst so gelassenen Eusebi bei diesem Thema bewies, dass hier an die Tiefen der Katzenseele gerührt wurde. Das Verhältnis zum Menschen war offenbar das stärkste Erlebnis dieser pelzernen Hausgötter.

Wenn der Penat es sich auch nicht gestehen will: die Menschen sind ihm wichtiger geworden als seinesgleichen. Die kühle Selbstverständlichkeit, mit der er und die Katzen der Nachbarschaft sich gegenseitig ignorieren, wenn sie einander begegnen, ist verblüffend. Sogar durch die Freundin stürmischer Februarnächte blickt er abwesend hindurch, wenn sie gelegentlich wieder hier erscheint, und sie ihrerseits sieht aufmerksam nach den Vögeln oder blickt bescheiden zu Boden und gibt vor, dass Eusebi Luft sei. Kätzische Etikette, erklärte der Penat.

Einmal war es anders gewesen, als im Vorfrühling der Föhn um das Berghaus orgelte, dramatisch wie ein Theaterwind. Damals erfasste den Penaten eine grosse Unruhe, er blieb tagelang weg, und wenn er im Hause war, fiel er durch sein eigentümlich hastiges Wesen und seinen abwesenden Blick auf. Die vertrauten schweigenden Gespräche litten darunter; Eusebi hatte offensichtlich an anderes zu denken. Manchmal fuhr plötzlich eine Bewegung durch das starke Grün seiner Augen: man sah, es war ihm etwas eingefallen. Dann forderte er stürmisch, dass man ihm die Türe öffne. Es war klar: Eusebi liebte. Ich versuchte, ihn über dieses neue Erlebnis zu interviewen. Vergebens. Der kätzische Penat erwies sich als vollkommener Gentleman. Weder Name noch Art der Freundin waren zu erfahren. Nur morgens beim Aufstehen sah man auf dem frischgefallenen Schnee zwei Katzenspuren einträchtig nebeneinander, die Rosettchen der Pfoten liefen wie eine zarte Stickerei über die weisse Fläche. Von Zeit zu Zeit kehrte Eusebi erschöpft nach Hause, warf sich schweigend in den Himbeerroten und schlief tagelang. Schliesslich hat dann seine Freundin in überbordender Leidenschaft das Geheimnis selbst verraten, indem sie vom Wald heraufkam, das Haus umschlich und dabei ihrer Sehnsucht gellenden Ausdruck gab. Eusebi sprang auf den Fenstersims und erblickte die Bacchantin. Der Auftritt war ihm sichtlich peinlich. Er verlangte hinaus und machte ihr offenbar ernste Vorstellungen über ihren Mangel an Haltung, denn seither zeigte sie sich nur noch selten. Sie war eine elegante weisse Katze, sehr hübsch angelegt, wenn auch nicht ganz gelungen. Ursprünglich sollte sie wohl ein Mützchen und eine kleine Schabracke aus getigertem Fell haben, aber als sie entstand, muss irgendeine Unachtsamkeit unterlaufen sein, denn das Mützchen war quer über das linke Auge geraten, und die Schabracke rutschte ihr links vom Rücken herunter, was ihr ein verwegenes Aussehen gab. Aber für den introvertierten Eusebi war sie damals wohl die Richtige mit ihrem heftigen Temperament.

Doch sind jene Sturmzeiten nun vorbei, Eusebis leichter Sommerpelz glänzt wieder, und seine eingefallenen Flanken wölben sich aufs Neue. Die Zeit der langen Gespräche ist wieder angebrochen. Des Penaten Konversation ist sehr anregend und erfrischend, seine Sprache ist zwar äusserst lapidar, aber er sagt nie Plattheiten. Man kann nicht sagen, dass sein Geist ausserordentlich weit wäre, aber die wenigen Begriffe, über die er verfügt, sind tief verankert, und seine seelische Festigkeit ist erbaulich. Es rührt wohl daher, dass er noch ganz im göttlichen Urgrund wurzelt und weitgehend im Typischen und allen Katzen Gemeinsamen lebt. Er ist konservativ und neigt, wie viele Tiere, zu Buchstabenfrömmigkeit. Heute noch, wie die Katzen vor grauen Urzeiten, dreht sich der Penat ein Dutzend Mal um sich, ehe er sich niederlegt. Es ist zwecklos, ihm zu sagen: "Aber Eusebi, das ist doch der Himbeerrote, das ist kein Steppengras, das erst zum Lager niedergetreten werden muss. Du irrst dich um 10‘000 Jahre." Der Penat würde verträumt und leer vor sich hinblicken und sagen: "Es ist uns damals so gesagt worden…." Und er würde sich nicht näher darüber äussern, wann und wo das war und wer ‚es‘ ihnen gesagt hat.

Das ist nun Eusebi, der kätzische Penat. Er hat sich als Hausgott in hohem Masse bewährt. Im Frühling sind die Lawinen krachend zu Tale gefahren; das Berghaus blieb unversehrt. Im Schutze der grossen Bergfestung steht es da, am Rande des schweizerischen Réduit. Friede herrscht in seinen Mauern, wenn auch kein Überfluss. Das Unglück ist ihm ferngeblieben. Viele Feste sind gefeiert und freundliche und heitere Gespräche sind geführt worden.

Wir wollen nicht so weit gehen, zu behaupten, das alles sei das Verdienst des kätzischen Penaten. Wenn man ernstlich nachforschen wollte, würde sich vermutlich herausstellen, dass er den Frieden und den Geist des Hauses nicht schafft, sondern ihn nur symbolisiert. Aber er tut es mit Anmut und Würde. Und dafür sei er gepriesen.

Paula Rüf

Erstmals ist "Ein kätzischer Penat namens Eusebi" verfasst von Paula Rüf, erschienen im Dezember 1945 (Weihnachts-/Neujahrsnummer) des "Schweizer Journals".